„Russische Wirtschaft doppelt getroffen - durch COVID-19 und durch sinkenden Ölpreis“
Connecting the world: COVID-19-Konsequenzen für das russische Geschäftsklima
Vor etwa drei Monaten, am 19. März 2020, berichtete China, dass es dem Land gelungen sei, die Pandemie des neuen COVID-19-Virus zu stoppen. Es war der erste Tag, an dem es in der Provinz Hubei, wo die Pandemie ihren Anfang nahm, keine neuen lokal übertragenen Fälle gab. Damals begann in Europa gerade die Situation im Hinblick auf COVID-19 außer Kontrolle zu geraten und wurde das Virus zu einer ernsthaften Bedrohung für die öffentliche Gesundheit.

In Russland gab es zu dieser Zeit nur 147 Infizierte, und alle diese Menschen kamen aus dem Ausland. Russland hatte einen Rückstand von zwei bis vier Wochen gegenüber dem übrigen Europa. Am 3. März 2020 gab es nur drei infizierte Patienten. Um den Ausbruch in Russland zu stoppen, begann die Regierung, ankommende Reisende zu kontrollieren und die infizierten Patienten einschließlich der Menschen in deren direkter Umgebung zu isolieren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt mussten alle Personen, die nach Russland zurückkehrten, für die Dauer von zwei Wochen lang unter Quarantäne gestellt werden. Bis Ende März wurden keine weiteren nennenswerten Maßnahmen zur Kontrolle des Ausbruchs ergriffen. Das bedeutete, dass alles im persönlichen wie im wirtschaftlichen Leben wie gewohnt weiterging.
Die russische Wirtschaft wurde jedoch bereits im Februar von COVID-19 getroffen, als die Produktion in China einbrach und der Ölverbrauch stark zurückging. Darüber hinaus gab es anhaltende destruktive Auseinandersetzungen mit der OPEC bezüglich der Ölförderung. Alle diese Faktoren zusammen führten zu einem dramatischen Rückgang des Ölpreises. Der Export von Energieprodukten verschafft dem Haushalt Russlands beträchtliche Einnahmen und beeinflusst dementsprechend den russischen Rubel. Infolgedessen erfuhr der Rubel eine recht gravierende Abwertung. Am 20. Februar 2020 belief sich der Gegenwert für 1 Euro auf 68 russische Rubel, am 19. März 2020 waren es 88 Rubel für 1 Euro. Der Rubel erholte sich dann wieder teilweise und stand am 15. Juni bei 79 Rubel für 1 Euro.
Ab Ende März 2020 begann die Zahl der Neuinfektionen dramatisch zu steigen. Am 27. März 2020 erreichte die Zahl der Infizierten mehr als 1.000. Es wurde deutlich, dass das Virus bereits lokal übertragen wurde. Bereits ab dem 18. März 2020 untersagte Russland die Einreise von Ausländern nach Russland, ab dem 28. März 2020 wurden alle internationalen Flüge gestoppt. Es wurde angekündigt, dass die Zeit vom 30. März bis zum 11. Mai 2020 in Russland arbeitsfreie Tage sein würden, und den Menschen wurde empfohlen, zu Hause zu bleiben. Personen, die mit COVID-Patienten in Kontakt gekommen waren, einschließlich Personen, die aus dem Ausland zurückkehrten, wurden aufgefordert, vierzehn Tage lang zu Hause in Quarantäne zu bleiben. Das bedeutete nicht, dass das Leben völlig zum Erliegen kam. Den Leitern der Regionen (85 Regionen in Russland) stand es frei, lokale Vorschriften zu erlassen. In den meisten Industrie- und Bauunternehmen wurde die Arbeit fortgesetzt. Viele Unternehmen, Schulen und Universitäten begannen, von zu Hause aus zu arbeiten. Die strengsten Beschränkungen gab es mit etwa 50 % der Gesamtzahl der Patienten in Moskau.
Wie sieht die derzeitige wirtschaftliche Lage aus?
Unterdessen mussten, wie in vielen anderen Ländern der Welt, einige Industrien ihren Betrieb ganz einstellen, was bedeutet, dass ihre Mitarbeiter während der Pandemie ohne jegliches Einkommen sind. Am stärksten betroffen waren die Tourismusindustrie (u. a. Flughäfen, Hotels), die Veranstaltungsbranche (Museen, Kultureinrichtungen, Sport, Bars und Restaurants, Konferenz- und Ausstellungsunternehmen), jedoch auch Unternehmen, die Haushaltsdienstleistungen anbieten (Reparatur, Wäscherei, chemische Reinigung, Schönheitssalons, Friseure usw.). Die meisten Geschäfte waren geschlossen, mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften und Apotheken. Viele kleine und mittlere Unternehmen waren stark betroffen. Viele andere Produktionszentren jedoch, darunter Russlands riesige Ölfelder und Förderstätten für natürliche Ressourcen, blieben während der gesamten Pandemie geöffnet.
Vor der Pandemie war die Arbeitslosenquote in Russland mit 4,5 % relativ niedrig. Anfang Mai 2020 hat sich die Zahl der arbeitslosen Einwohner im Vergleich zum Vormonat (April) verdoppelt. In Russland gab es 1,4 Millionen offiziell registrierte Arbeitslose. Noch mehr Menschen sind derzeit während des Pandemiezeitraums ohne Einkommen, (obwohl sie nicht offiziell arbeitslos sind). Die russische Regierung begann direkt und indirekt, Unternehmen und Menschen zu unterstützen.
Glücklicherweise hatte Russland bis Ende 2019 beträchtliche Ersparnisse aufgebaut (11 Billionen Rubel). Nichtsdestotrotz wird die COVID-Pandemie zusammen mit dem Rückgang des Ölpreises zu einer schweren Wirtschaftskrise in Russland führen.
Im April 2020 sank die Industrieproduktion in Russland um 13,3 %. Die russische Regierung erwartet für das zweite Quartal 2020 einen Rückgang des BIP um 8 %. Die Europäische Kommission prognostizierte, dass das BIP in Russland im Jahr 2020 um 5 % niedriger als im Jahr 2019 ausfallen wird, dies als direkte Folge des Coronavirus und des niedrigen Ölpreises. Die Erholungsphase für die russische Wirtschaft hängt von der Entwicklung des Ölpreises sowie von der Dauer und Schwere der Pandemie ab.
Auswirkungen der Corona-Krise auf die Logistikbranche
Es liegt auf der Hand, dass aufgrund der direkten und indirekten Auswirkungen der Arbeitslosigkeit sowie der Abwertung des Rubels im Februar - März 2020 der Konsum in Russland erheblich zurückgehen wird und dies zu einem geringeren Import von Konsumgütern (vor allem in Containern) führen wird. Der schwächere Rubel stimuliert jedoch den Export aus Russland vor allem von Metallen, forstwirtschaftlichen Erzeugnissen und Düngemitteln. Wie bereits erwähnt wurde, sind die meisten Unternehmen ebenso wie alle Seehäfen in Russland mit einigen zusätzlichen sanitären Maßnahmen voll betriebsbereit.
Bislang ist in den russischen Häfen kein bemerkenswerter Umsatzrückgang zu verzeichnen. Im ersten Quartal 2020 stieg der Umschlag der russischen Seehäfen um 2,4 %, einschließlich einer Steigerung beim Containerumschlag um 1,6 %. In den Monaten Januar - März 2020 stieg der Umsatz aller russischen Seehäfen um 3,7 % bzw. 280 Millionen Tonnen. In diesem Zeitraum wurden in russischen Häfen 1,76 Millionen TEU umgeschlagen; das sind 0,5 % weniger als im Vorjahr. Der Export von Rohöl aus Russland betrug im Januar - April 2020 86,3 Millionen Tonnen oder 1,8 % weniger im Vergleich zum Vorjahr.
Von Januar bis Mai 2020 wurden in den russischen Seehäfen 351,4 Millionen Tonnen umgeschlagen, 3,2 % mehr im Vergleich zum Vorjahr. In der Ostsee wurden in den russischen Häfen in diesem Zeitraum 110,9 Millionen Tonnen (+2,6 %) umgeschlagen, darunter 44,9 Millionen Tonnen Trockenfracht (-2,4 %) und 66,4 Millionen Tonnen flüssiges Massengut (+6,2 %). Der Containerumschlag in russischen Häfen ging in fünf Monaten um 1 % auf 2,2 Millionen TEU zurück (der Import beladener Container sank um 4,5 %, wohingegen der Export beladener Container um 9,4 % stieg).
Schutzmaßnahmen und Exit-Strategie
Die neueste COVID-19-Statistik besagt, dass am 15. Juni 2020 insgesamt 537.210 Infektionen registriert wurden, und entsprechend diesem Kriterium ist Russland nach den USA und Brasilien das am dritthärtesten betroffene Land. In Russland wurden insgesamt 15 Millionen Tests zu COVID-19 durchgeführt. An COVID-19 sind 7.091 Menschen gestorben. Die offizielle Sterberate ist um ein Vielfaches niedriger als in anderen Ländern. In den letzten drei bis vier Wochen hat sich die Zahl der Neuinfektionen stabilisiert, und die tägliche Zunahme neuer Patienten liegt zwischen 8.000 und 9.000 Personen. Noch immer sind die meisten Fälle in Moskau zu verzeichnen. Der 11. Mai 2020 gilt als der Höhepunkt der Pandemie in Russland.
Die Einstellung gegenüber COVID-19 hat sich im Laufe der letzten zwei Wochen geändert, als sich die Lage, vor allem in Moskau, zu verbessern begann. Es herrscht keine Panik mehr, und das öffentliche Gesundheitssystem erklärt, für neue COVID-Fälle gerüstet zu sein.
Leider können viele KMU-Unternehmen in den meisten Regionen ihre Arbeit immer noch nicht wieder aufnehmen. Zudem sind in vielen Regionen Schutzmaßnahmen wie beispielsweise Masken in öffentlichen Bereichen und Verkehrsmitteln Pflicht. Die Auswirkungen der Lockdown-Beschränkungen auf der Angebotsseite in Russland waren im Vergleich zu anderen Ländern viel geringer. Die Industrieproduktion ging im April im Jahresvergleich nur um 6 % zurück, verglichen mit einem Rückgang von 15 % in den USA und 13 % in Europa.
Darüber hinaus lag die Produktion der russischen Grundstoffindustrie, die ein guter Richtwert für das BIP ist, im April um 10 % unter dem Vorjahreswert, was einen geringeren Rückgang als 2009 bedeutet (-15 % im Jahresvergleich im schlechtesten Monat).
Dennoch wird die Nachfrageseite weiterhin die Hauptquelle der Unsicherheit für die Wirtschaft bleiben. Der gesamte Einzelhandelsumsatz ist im April im Jahresvergleich um mehr als 23 % gesunken, während der Absatz von Non-Food-Produkten im Jahresvergleich um rekordverdächtige 36,7 % einbrach. Man geht davon aus, dass die Erholung der Binnennachfrage auf das Vorkrisenniveau sehr allmählich erfolgen wird und mindestens zwei Jahre dauern kann.
Angesichts des sich abschwächenden, jedoch anhaltenden Antikrisen-Modus und der bevorstehenden landesweiten Abstimmung über die vom Präsidenten vorgeschlagenen Verfassungsänderungen am 1. Juli 2020 wird das Ausgabenwachstum der Regierung weiterhin hoch bleiben, während die Einnahmenseite aufgrund des starken Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit und des niedrigeren Ölpreises im zweiten Quartal 2020 wahrscheinlich unter Druck bleiben wird. Die Öleinnahmen machen normalerweise etwa 40 % der Haushaltseinnahmen aus. Der Haushalt für 2020 wurde mit einem Ölpreis von US$ 42,45 pro bbl. berechnet. Der aktuelle Preis für Ural-Öl beläuft sich auf US$ 36 pro bbl.
Die Erholung der Wirtschaft in Russland hängt nicht nur von der COVID-Situation innerhalb Russlands ab, sondern auch von der Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft und vom Ölpreis. Eine genaue Prognose ist, ähnlich wie in vielen Ländern, zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, und die Situation ist noch immer eine nie dagewesene.
Über den Verfasser
Karl Gofman arbeitet seit sechzehn Jahren für den Hafenbetrieb Rotterdam, davor war er zehn Jahre lang in der Schifffahrtsagenturbranche tätig. Er lebt und arbeitet in Sankt Petersburg.
Welche Bedeutung hat der Hafenbetrieb Rotterdam für die russische Wirtschaft? Der Ladungsstrom zwischen den russischen Häfen und Rotterdam beläuft sich jedes Jahr auf etwa 55 bis 65 Millionen Tonnen. Das ist eine für beide Seiten gigantische Menge. Die Häfen an der Ostsee verfügen nur über begrenzten Tiefgang, und in vielen Fällen gilt es, russische Ladung entweder irgendwo in Europa umzuladen oder zu löschen. Und in dieses Konzept passt Rotterdam sehr gut.
Und wie kann der Rotterdamer Hafen einen Frachtunternehmer aus Russland davon überzeugen, seine Ladung über Rotterdam und nicht über andere Häfen zu befördern? Die wichtigsten Argumente für Kunden sind Kosten, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit. All das bietet der Hafen von Rotterdam. Es ist erforderlich, russische Geschäftskontakte über die Möglichkeiten und Entwicklungen im größten Hafen Europas auf dem Laufenden zu halten.
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